Bundesliga made in Gettenau

Bundesliga-Handball in der Wetterau? Fehlanzeige, und wohl nur für unrealistische Träumer überhaupt vorstellbar. Und doch, heimische Talente die höherklassigen Ansprüchen gerecht werden und in der Bundesliga angekommen sind, gibt es durchaus: Beim Zweitligisten Hüttenberg spielen Mario Fernandes (Ober-Mörlen), Niko Weber (Münzenberg) und Johannes Klein (Gambach), in Coburg Konstantin Poltrum (Ober Mörlen) und in Dessau Dominik Plaue (Heldenbergen). Mit Beginn dieser Saison hat sich mit Jessica Schmeisser aus Gettenau auch eine Frau in diesen illustren Kreis begeben. Mit ihrer HSG Gedern/Nidda hatte sie in der Vorsaison überraschend den Aufstieg in die 2. Frauen-Bundesliga geschafft.

Als eine Art »gallisches Dorf« setzt sich Schmeisser mit ihren Mannschaftskolleginnen gegen teilweise übermächtige Gegner zur Wehr. Die Voraussetzungen in der neuen Handball-Hochburg am Rande der Wetterau sind nämlich gänzlich anders als bei den etablierten Vereinen. So gilt Rosengarten-Buchholz als Ausbildungsverein für den vom Licher Dirk Leun trainierten SV Buxtehude, bei den Kurpfalz Bären aus Ketsch spielen etliche Junioren-Nationalspielerinnen und bei anderen Teams befinden sich teilweise ausländische Nationalspielerinnen im Kader. Eine gestandene Spielerin mit großer Erfahrung würde auch der HSG sicherlich helfen, die Klasse zu halten. Doch vonseiten der Verantwortlichen verfolgt man einen anderen Weg. »Handball in der Region, Handball für die Region« ist nicht nur eine leere Phrase, sondern wird konsequent gelebt. Zwar belegt man nach 80 Prozent der Vorrunde mit sechs Punkten derzeit einen Abstiegsplatz, wähnt sich aber auf einen guten Weg. Gerade das Spiel gegen Rödertal zuletzt, in dem man zwischenzeitlich mit sechs Toren vorn lag, hat gezeigt, dass es mit Ausnahme der Top-Drei, gegen jeden Gegner möglich ist, für die HSG Gedern/Nidda zu punkten.

„Wir alle waren ziemlich nervös, haben aber auch festgestellt, dass wir in der Lage sind mitzuhalten, wenn wir einen guten Tag haben“

Eine nicht unwesentliche Rolle bei der HSG spielt die 24-jährige Jessica Schmeisser. Seit dem erfolgreichen Abschluss eines dualen Studiums im Bereich BWL/Steuern und Prüfungswesen arbeitet sie in Grünberg bei einer Steuerkanzlei und verkörpert damit auf ideale Weise die Vereinsphilosophie, dem reinem Profi-Handball nicht den Vorzug zu geben. Innerhalb der Mannschaft stellt sie in der Abwehr im Mittelblock eine wichtige Stütze dar und bildet gemeinsam mit Leonie Nowak ein durchschlagkräftiges Duo am Kreis. Für sie ist das sportliche Abenteuer, das sie derzeit erlebt, etwas Besonderes. »Zu Beginn der Runde konnte ich es nicht wirklich glauben, dass das Märchen wahr wurde«, sagt sie. Das erste Spiel in der neuen Liga hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen: »Wir alle waren vorab ziemlich nervös, haben aber auch festgestellt, dass wir in der Lage sind mitzuhalten, wenn wir einen guten Tag haben«. In positiver Erinnerung ist ihr auch noch die Saison 2012/2013, der ersten in der 3. Liga. Seinerzeit war der Klassenerhalt nur einem furiosen Endspurt mit sechs Siegen in Folge zu verdanken.

Zum Handballsport kam Schmeisser erst relativ spät – mit zehn Jahren. Da es bei ihrem Heimatverein, dem TV Gettenau, 2008 keine Mannschaft in ihrer Altersklasse mehr gab, wechselte sie nach der C-Jugend, auch auf Anraten ihrer damaligen Trainerin, nach Nidda. »Da ich dort aufs Gymnasium gegangen bin, kam kein anderer Verein in Frage«, sagt sie zur Begründung. Die Verbindung nach Gettenau ist aber nie abgerissen. So lief sie in der Saison 2014/2015, ausgestattet mit einem Doppelspielrecht, noch einmal für »ihren« TV auf. »Dadurch hatte ich die Möglichkeit weitere Spielpraxis zu sammeln, die für junge Spielerinnen immens wichtig ist«, sagt sie.

Nidda ist heute allerdings nicht nur ihr neuer Wohnort, sondern auch eine sportliche Heimat, in der sie sich wohl fühlt und der sie wohl treu bleibt. »Ich glaube für einen anderen höherklassigen Verein bin ich mittlerweile zu alt «, sagt sie lachend auf und lässt dennoch wissen, dass ein Wechsel irgendwann zum Thema werden kann. »Meine Mutter hat den Wunsch, dass ich noch einmal gemeinsam mit meiner Schwester Franziska spiele, bevor ich aufhöre. Da sie aktuell in Gettenau ist, besteht die Möglichkeit, irgendwann dorthin zurückzukrehn«, macht Schmeisser Hoffnungen auf ein Wiedersehen in alten Gefilden, auch weil für sie Familie und Freunde einen großen Stellenwert haben. Zunächst aber gilt ihre volle Konzentration nach wie vor der HSG Gedern/Nidda und dem Ziel, mit den bundesweiten Auftritten ihrer Mannschaft, weiterhin Werbung für die Region zu betreiben – möglichst über den Verlauf der aktuellen Spielzeit hinaus.

3 Fragen an Jessica Schmeisser:

Wie beurteilen Sie den bisherigen Saisonverlauf?
Jessica Schmeisser: Ich denke, wir hätten noch das ein oder andere Spiel mehr gewinnen können. Vielleicht haben wir uns aber ab und an selbst zu sehr unter Druck gesetzt – und das obwohl wir als Aufsteiger eigentlich ohne jeglichen Druck hätten aufspielen können.
Wo liegen für Sie die größten Unterschiede zwischen der 3. Liga und der 2. Bundesliga?
Schmeisser: Einer der größten Unterschiede ist das Tempospiel der Mannschaften, aber auch die Physis und die Härte sind neu. Manche Mannschaften spielen vom Tempo und der Physis wie wir, andere jedoch fast wie Profis.
Wie kommen Sie und die Mannschaft mit der erhöhten Schlagzahl von Training, Spielen gegen stärkere Gegner und größeren Reisestrapazen zurecht?
Schmeisser: Vom Training war es schon eine Umstellung. Es kam eine weitere, zusätzliche Einheit dazu und zusätzlich wurde noch Krafttraining mit in den Trainingsplan aufgenommen. Von den Reisestrapazen in Bezug auf längere Auswärtsfahrten hat es uns noch relativ gut getroffen, da wir in Deutschland ziemlich zentral liegen. Selbstverständlich war es für mich und auch für die Mannschaft eine Umstellung, gegen stärkere Gegner zu spielen, weil sie jeden Fehler direkt bestrafen und man dann bei zwei, drei Fehlern auch gleich mit zwei, drei Toren zurück liegt.

Quelle: Wetterauer Zeitung (21.12.2018)